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“Die Darstellung der Frau in der Fotografie ist meist eine Katastrophe.“

Lou Herzog fotografierte zum ersten Mal mit 12 Jahren mit einer Spiegelreflexkamera. Im Gespräch für den X und Y Podcast ging es um die Faszination der Fotografie und darum, wie der Male Gaze die Arbeit vor und hinter der Kamera beeinflusst. Eine (paraphrasierte) Kurzfassung.

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Was ist deine Motivation für das Fotografieren? 

Anfangs wollte ich Bilder von mir und meinen Freunden haben und kam erst dadurch zur Porträtfotografie. Nach und nach habe ich dann gemerkt, dass mir vieles in der Porträtfotografie überhaupt nicht gefällt, wie zum Beispiel die sexualisierte Darstellung der Frauen. Ich wollte mich mit dieser Art von Bildern als queere Person auch nicht identifizieren. Daher versuche ich eine feministische Darstellung in der Porträtfotografie zu zeigen, sodass weibliche Personen beispielsweise nicht herabschauend betrachtet werden. 

Die Fotografie war sehr lange von männlichen Perspektiven geprägt. Wie empfindest du das heute?

Obwohl es immer mehr junge Fotograf:innen gibt, habe ich das Gefühl, dass der Male Gaze in der Fotografie nicht abnimmt. Er hat über Jahrzehnte das Schönheitsideal definiert, sodass teilweise Fotograf:innen, die eigentlich nicht aus einer männlichen Perspektive fotografieren, trotzdem den Male Gaze übernehmen. 

infoDer Begriff “Male Gaze” kommt aus der Filmwissenschaft, wird aber vor allem in feministischen Theorien und auch in anderen Bereichen verwendet. Er bedeutet die Darstellung von weiblich gelesenen Personen aus einer männlichen, heterosexuellen Perspektive.

Warum, glaubst du, ist das so? Warum übernehmen beispielsweise Frauen den Male Gaze?

Ich glaube es liegt zum Teil daran, dass sich bestimmte Schönheitsideale bei vielen Frauen eingeprägt haben – verstärkt auch durch Social Media. Sie möchten dem gerecht werden. Und auch Fotografinnen versuchen dann diese Erwartungen zu erfüllen. So entsteht dann ein Bild, das aus der Male Gaze-Perspektive als schön und erstrebenswert wahrgenommen wird. Aber: Falls der Male Gaze wirklich durchbrochen wird, dann zumeist von nicht-männlichen Personen, die sich aktiv damit auseinander setzen. 

Es existiert aber eine Gruppe von weißen, cis-hetero Männern, die sich gegenseitig auch pushen und inspirieren und dieses eine Schönheitsbild weitertragen. Das frustriert, weil die Darstellung der Frau da meist eine Katastrophe ist meiner Meinung nach. Ein Beispiel sind die ewigen sehr, sehr dünnen, sich räkelnden Unterwäsche-Models. Ich frage mich da: Soll das ästhetisch sein? Oder ist das eine Wunschvorstellung? Ist das das, was die Person für dich als Fotograf verkörpert?

Wie gehst du beim Fotografieren mit Models um, die sich trotzdem auf diese Perspektiven versteifen und versuchen diese nachzuahmen?

Ich bin viel im Austausch mit weiblichen Models, die von den verschiedensten Personen fotografiert werden. Neulich habe ich mich mit einem befreundeten Model unterhalten. Sie hatte auf Social Media tolle Bilder geteilt und wirkte auf den Bildern viel charismatischer. Als ich sie darauf angesprochen habe, erzählte sie mir, dass sie von einer Frau fotografiert worden war, mit der die Kommunikation so anders war, als sie es sonst gewohnt war.

Und das ist genau der Punkt: Viele Models kommen zu einem Shooting mit der Erwartungshaltung, dass sie zerbrechlich und sexy sein müssen. Sobald ich dann das Feedback gebe, dass sie gerne auch eine starke Pose einnehmen und präsent sein dürfen, reagieren viele erst einmal irritiert. Ich kommuniziere also einfach, dass sie diesen Filter des Male Gaze, durch den sie sich ja selbst betrachten, ablegen können.

Lou Herzog mit Kamera auf der Suche nach Bildern ohne Male Gaze
(c) Lou Herzog
Fällt es den Models schwer, sich beispielsweise “stark” zu zeigen?

Das ist sehr individuell. Manchen fällt es leichter als anderen, die erstmal eingeschüchtert sind. Ich versuche deswegen, mich vor einem Shooting immer mit den Personen zu unterhalten, weil Kommunikation da wirklich entscheidend ist. Je wohler sich die Personen fühlen, desto höher ist die Chance, dass sie aus sich rauskommen und den “Ich will nur schöne Bilder für Insta”-Filter ablegen.

Heutzutage sind wir es auch gewohnt, uns permanent selbst zu fotografieren und diese Bilder mit Filtern zu bearbeiten. Welche Rolle spielt der internalisierte Male Gaze in den Sozialen Medien?

Gerade im Kontext der Sozialen Medien ist der verinnerlichte Male Gaze unfassbar gefährlich für die psychische Gesundheit. Die Filter führen ja nicht dazu, dass wir uns wohler in unserer Haut fühlen. Im Gegenteil. Wir sehen uns in den Sozialen Medien, bekommen Likes für “schöne” Bilder und betrachten uns anschließend im Spiegel und sind unzufrieden. Und da müssen wir ganz dringend weg. Ich versuche daher zum Beispiel, so wenig zu retuschieren wie möglich, um Menschen authentischer zu zeigen. Aber es ist noch ein langer Weg und es müssten so viel mehr Leute mitziehen, damit wir uns da in die richtige Richtung bewegen.

In welche Richtung bewegst du dich weiter, beziehungsweise deine Fotografie?

Ich gebe mir Mühe und finde einen Weg, von dem ich Leben kann und den ich vertretbar finde. Und das ist natürlich ein Konflikt: Wenn ich mehr Follower hätte, könnte ich mehr Jobs über Instagram an Land ziehen, mehr Geld rausschlagen und langfristig mehr Menschen mit meiner Arbeit inspirieren. Für mehr Follower bräuchte ich aber kurzfristig normschöne Male Gaze-Bilder. Aber ich für mich habe entschieden, dass das nicht mein Weg ist. 

Gerade als nicht-binäre Person bin ich so froh, dass männliche Perspektiven in meinem Denken eine immer kleinere Rolle spielen. Ich kann dadurch von vorne anfangen und meine eigenen Perspektiven finden. 

 

Für die Langfassung des Gesprächs hört doch mal in Folge 15 rein!